Die Aufteilung Afrikas und ihre Folgen
Vortragsmanuskript
Die Aufteilung Afrikas unter den Europäern hatte längst begonnen, als deren Vertreter 1884 in Berlin zusammenkamen. Die Portugiesen saßen schon im 16. Jahrhundert an den Küsten Angolas und Mosambiks, im 17. Jahrhundert okkupierten die Holländer die Kapregion Südafrikas, Algerien wurde 1830 von Frankreich erobert und 1861 annektierte Großbritannien Lagos im heutigen Nigeria. Nur selten reichte die Herrschaft der Europäer jedoch weit über die Küstengegenden hinaus und selbst diese waren nicht vollständig annektiert.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich der europäische Imperialismus. Wurde zuvor ein „informeller“ Imperialismus, geprägt durch militärische und wirtschaftliche Überlegenheit betrieben, entwickelte sich um das Jahr 1880 immer mehr ein direkter Imperialismus, eine direkte Einflussnahme europäischer Staaten in die Angelegenheiten Afrikas. Dies wurde oft als Wettlauf um Afrika bezeichnet.
Die Erkundung und Kartografierung des inneren Afrikas durch europäische Forscher begann Anfang des 19. Jahrhunderts. Zugleich setzte eine erhebliche Nachfrage nach Rohstoffen und Kolonialwaren aus Afrika ein. Zu dieser Zeit waren etwa 10% Afrikas unter europäischer Kontrolle. Technologische Fortschritte auf unterschiedlichen Gebieten erleichterten die Expansion in Afrika. Die Industrialisierung ermöglichte große Fortschritte in den Bereichen Transport und Kommunikation, besonders durch verbesserte Nautik, Telegrafie und die Eisenbahn. Die Dampfschifffahrt erleichterte es, Flüsse gegen die Strömung zu befahren. Daher war es für die europäischen Staaten attraktiv, in Afrika neue Märkte zu erobern. Europa befand sich in einer Depression und die europäischen Märkte schrumpften. Es boten sich in Afrika gute Chancen, Waren abzusetzen und die chronisch negativen Handelsbilanzen zu verbessern.
1876 wurde die Internationale Afrika Gesellschaft gegründet, offiziell zur Koordinierung der internationalen humanitären und wissenschaftlichen Arbeit in Afrika. Sie diente jedoch dem belgischen König, Leopold II., als Scheinorganisation für seine kolonialen Pläne. Die Gesellschaft beauftragte den Afrikaforscher Henry Morton Stanley mit der Durchführung ausgedehnter Expeditionen in Zentralafrika. Mit der Erforschung des Kongobeckens entfernte Stanley den letzten großen „weißen Fleck“ von der Landkarte Afrikas.
1879 wurde die Internationale Kongo-Gesellschaft gegründet, die wirtschaftliche Ziele verfolgen sollte. Leopold von Belgien kaufte die fremden Anteile der Kongogesellschaft heimlich auf und Stanley reiste erneut an den Kongo, diesmal nicht als Forscher, sondern als Abgesandter Leopolds mit dem geheimen Auftrag, den Kongostaat aufzubauen. Zur gleichen Zeit schickte Frankreich den Marineoffizier Pierre Savorgnan de Brazza ins westlichen Kongobecken um im neu gegründeten Brazzaville die Trikolore zu hissen.
Kurz nach der Errichtung des französischen Protektorats in Tunesien und der Annexion Ägyptens durch Großbritannien erhob Frankreich Anspruch auf zentralafrikanische Gebiete am Nordufer des Kongo. Im Januar 1884 rief der belgische König Leopold II. den Freihandel und Neutralität versprechenden „Kongo-Freistaat“ aus. Zur selben Zeit schlossen Portugal und Großbritannien einen Vertrag mit dem Ziel, der Kongogesellschaft den Zugang zum Atlantik zu versperren.
Die Okkupation Ägyptens und die Besetzung des Kongo waren die ersten großen Schritte im Wettlauf um Afrika. Aber auch Deutschland strebte nach der Reichsgründung 1871 Kolonialbesitz an.
Leopold II. gelang es, Frankreich und Deutschland davon zu überzeugen, dass ein gemeinsames Handeln in Afrika in ihrem Interesse sei. Die Anerkennung seines Anspruchs auf den Kongo durch die USA hatte er bereits erreicht. Gegen entsprechende Freihandelsgarantien für den Kongo erkannte schließlich auch der anfangs zögerliche deutsche Reichskanzler den neuen Kongostaat an. Bismarck ließ sich davon überzeugen, dass es besser war, wenn der Kongo an das schwache, kleine Belgien fiel und dem deutschen Handel offenstand, als wenn Frankreich oder Portugal mit ihrem Protektionismus oder gar das mächtige England von dem Gebiet Besitz ergriffen.
Zeitgleich entwickelte sich ein Streit um die bislang für weniger wertvoll gehaltenen Küsten Westafrikas. Dieser ging vor allem von Deutschland aus, das bisher keine Kolonien in Afrika besaß. Im Herbst 1883 hatte Bismarck bei der britischen Regierung angefragt, inwiefern sie Ansprüche auf das vom Bremer Kaufmann Lüderitz erworbene Gebiet in Südwestafrika erheben würde. England antwortete, dass es als Verletzung legitimer Rechte betrachtet würde, wenn eine andere Nation die Hoheitsgewalt über das Gebiet beanspruchte. Bismarck nahm darauf den Schutz des Gebietes selbst in die Hand. Er schickte Gustav Nachtigal in geheimer Mission nach Westafrika und am 24. April 1884 wurde das Küstengebiet in Südwestafrika unter den „Schutz“ des Reiches gestellt. Im Juli erhob Deutschland auch an der Küste von Togo und Kamerun offizielle Ansprüche.
Um die Probleme, die bei der Einnahme Afrikas entstanden, zu beseitigen und die Handelsfreiheit am Kongo und am Niger zu regeln, fand vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Bismarck die Kongo-Konferenz in Berlin statt. Die Konferenz fand unter humanitären Vorwänden, etwa der Verurteilung des Sklavenhandels sowie dem Verbot zum Verkauf von Alkohol und Schusswaffen, statt. Zudem sollte die Missionsarbeit unterstützt werden. Wichtiger war jedoch die Festsetzung von Regeln für die Kolonisation Afrikas.
Otto von Bismarck lud die Vertreter der USA, des Osmanischen Reiches und der europäischen Mächte Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Russland, Spanien und Schweden-Norwegen zu dieser Konferenz ein. Stanley nahm als technischer Berater der amerikanischen Delegation teil, stand aber in engstem Einvernehmen mit seinem Auftraggeber, dem belgischen König. Unter völliger Missachtung der Eigentums- und Herrschaftsrechte von Millionen afrikanischer Menschen verständigte man sich mit Frankreich schon im Vorfeld der Konferenz auf die Anerkennung von Leopolds II. „Kongo-Freistaat“ und die Schaffung einer riesigen Freihandelszone im Kongobecken, das einen Großteil Zentralafrikas umfasste. Für das Nigergebiet wollten Deutschland und Frankreich gern eine vergleichbare Regelung finden. Wegen des erwarteten Widerstands Großbritanniens, das dort den größten Einfluss ausübte, beschränkte man sich allerdings auf das Ziel einer freien Schifffahrt für alle Europäer.
Zahlreiche internationale Kommentatoren der Konferenz haben die Abwesenheit afrikanischer Vertreter beanstandet. Wenn man sieht, dass Bismarck den größten Teil des afrikanischen Kontinent ungeachtet aller vor Ort abgeschlossenen Verträge nun als Niemandsland definierte und seine Bewohner und Bewohnerinnen damit vollends zu Objekten herabsetzte, wird deutlich, warum ihre Anwesenheit in Berlin für überflüssig erachtet wurde. Die Konferenz endete mit der Unterzeichnung der Schlussakte. Diese hält die Ergebnisse der Konferenz in 6 Kapiteln fest:
1. Einführung der Handelsfreiheit im Kongo-Becken.
2. Bestimmungen über den Sklavenhandel und dessen Bekämpfung.
3. Neutralisierung der in Kapitel 1 fixierten Freihandelszone.
4. Regelung der Schifffahrt auf dem Kongo.
5. Regelung der Schifffahrt auf dem Niger.
6. Festlegung der Prozedur, nach der die Inbesitznahme neuer Territorien an den afrikanischen Küsten durch die Kolonialmächte und die Errichtung von Protektoraten zu erfolgen habe.
Die Schlussakte, oder auch Generalakte oder Kongo-Akte wird vielfach als Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien angesehen, doch die gab es - wie schon dargestellt - bereits vor der Konferenz. Wichtiger war: in ihr legten die Unterzeichnerstaaten die Neutralität des Kongobeckens sowie Handels- und Schifffahrtsfreiheit fest. Der Sklavenhandel wurde verboten, der unabhängige Kongostaat unter der Souveränität des belgischen Königs Leopold II. anerkannt und Kongo als französischer Besitz bestätigt. Weiterhin wurden allgemeine Richtlinien und Spielregeln für den Erwerb von Kolonien vereinbart und jede Kolonialmacht dazu verpflichtet, nach Inbesitznahme eines Gebietes die anderen Kolonialmächte zu unterrichten und auch ihnen freien Handel zu gewähren.
Die völlige Freiheit des Handels und der Schifffahrt wurde auf vorläufig 20 Jahre gesichert und zwar in einem Gebiet zwischen dem Atlantischen Ozean im Westen und dem Indischen Ozean im Osten, nördlich durch die Wasserscheide zwischen dem Becken des Kongo und denen des Ogowe (durch die heutige Republik Kongo nach Gabun), Schari (Zufluss des Tschadsees, bildet die Grenze zu Kamerun)und Nil, südlich den Sambesi aufwärts (Grenze zwischen Sambia und Simbabwe) bis zum Loje von seiner Quelle bis zur Mündung. Das so begrenzte Gebiet wurde für neutral erklärt. Keine der Mächte sollte die Souveränitätsrechte in diesem Gebiet ausüben dürfen. Als Abgaben sollten nur Entgelte wie Hafen- und Lotsengebühren zulässig sein. Doch hat man dem Kongostaat seit 1893 gestattet, Einfuhrzölle zu erheben. Eine der wichtigsten Folgen der Kongoakte war mithin die Anerkennung und Begrenzung des neuen Kongostaates. Die Konferenz beendete die internationale Krise um das Kongobecken.
Bismarck erreichte für das Deutsche Reich die ersehnte Aufnahme in den Kreis der Kolonialmächte und ließ sich dafür von der deutschen Öffentlichkeit feiern. Am wichtigsten für Deutschland war die Bestimmung der Schlussakte, die eine effektive Besetzung beanspruchter Küstengebiete zur Voraussetzung für ihre internationale Anerkennung erhob. Von Anfang an hatte Bismarck größten Wert darauf gelegt, nicht mit französischen Gebietsansprüchen in Westafrika zu kollidieren. Die deutsche Regierung, bekam was sie wollte: Frankreichs Premier gab seiner Zuversicht Ausdruck, dass sich die deutsch-französischen Grenzziehungsverhandlungen in Togo und Kamerun problemlos gestalten würden. Gegen die britischen Hegemoniebestrebungen sollte Bismarcks Konferenz vor allem eines erwirken: Die Anerkennung des neuen deutschen Kolonialbesitzes durch die anderen europäischen Staaten. Deshalb wurde Großbritannien bis zum Abschluss der Vorbereitungen über die Tagesordnung der Konferenz im Unklaren gelassen. Die Berliner Konferenz war aber auch die Geburtsstunde einer Art gemeinsamer Entwicklungspolitik der europäischen Regierungen in Afrika. Schon in seiner Eröffnungsrede hatte Bismarck betont, (Zitat)„dass alle eingeladenen Regierungen den Wunsch teilen, den Eingeborenen Afrikas den Anschluss an die Zivilisation zu ermöglichen“(Zitatende). In der Generalakte der Konferenz wurde betont, dass alle unterzeichnenden Staaten (Zitat)„auf Mittel zur Hebung der sittlichen und materiellen Wohlfahrt“ (Zitatende)afrikanischer Menschen bedacht wären. Was sich heute als blanker Zynismus darstellt, konnte im damaligen Europa überzeugend vertreten werden: Imperialismus und Paternalismus gingen Hand in Hand.
Die Konferenz löste eine regelrechte Jagd auf koloniale Besitzungen aus. 1876 waren ca. 10% Afrikas in europäischer Hand. 1902 hatten sich die Kolonialmächte 90% Afrikas untereinander aufgeteilt. Die häufig gemachte Aussage, dass alle bis heute bestehenden afrikanischen Grenzen am Berliner Konferenztisch gezogen wurden, ist so nicht richtig. Einige Grenzen waren schon vorher bestimmt, andere wurden erst deutlich später verhandelt. Die Generalakte der Konferenz benennt lediglich die Begrenzung des „natürlichen Kongobeckens“. Dennoch ist es eine Tatsache, dass die europäischen Regierungen der Aufforderung Bismarcks folgten und die Gelegenheit nutzten, sich über Fragen der Abgrenzung ihrer Kolonialgebiete zu verständigen. Mit den vom Kongo vorgegebenen Inlandsbegrenzungen ließ sich so 1885 schon annähernd erkennen, wie die späteren Kolonien - und die heutigen Staaten südlich der Sahara - begrenzt sein würden.
Die durch die Konferenz oder auch später gezogenen Grenzen entstanden ohne Rücksicht auf die dort lebende Bevölkerung und deren Kultur. Afrikanische Sprachen wurden als minderwertig angesehen und die Bevölkerung wurde gezwungen die jeweiligen europäischen Sprachen zu lernen. Aus den seinerzeit gezogenen Demarkationslinien zwischen Kolonien wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Grenzen zwischen souveränen Staaten. Je nach Bedürfnis und Interessenlage wurde Afrika in Stücke zerlegt und unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt.
Bezüglich der Umsetzung ihrer Bestimmungen ist die Berliner Afrika-Konferenz oft als wirkungslos beschrieben worden. Tatsächlich blieb das zentralafrikanische Kongobecken nicht frei für internationale Unternehmungen. Der Sklavenhandel wurde nur halbherzig unterdrückt und auch bei den europäischen Besitzergreifungen an den afrikanischen Küsten wurden nur selten die aufgestellten Regeln beachtet. Doch es gab unübersehbare Folgen für Afrika. Bismarcks Forderung nach einer „effektiven Besetzung“ hat die Kolonialisierung Afrikas beschleunigt. In den in Berlin begründeten deutschen Schutzgebieten wurde das unmittelbar deutlich. Carl Peters erhielt gleich nach Abschluss der Konferenz einen kaiserlichen Schutzbrief für die von ihm beanspruchten Gebiete in Ostafrika. Mit dem Einsatz der deutschen Marine in Kamerun noch während der Konferenz wurde eine Tradition kolonialer Gewalt begründet, die ihre furchtbaren Höhepunkte in den Kolonialkriegen in „Deutsch-Südwestafrika“ und „Deutsch-Ostafrika“ erreichte. Niemand profitierte von der Konferenz jedoch mehr als König Leopold II. Der Kongostaat, das rohstoffreichste Gebiet Afrikas, war in den Besitz Belgiens gelangt, einem Land, das für die europäische Kontinentalpolitik kaum von Bedeutung war. Zunächst jedoch wurde das Kongogebiet (die heutige Demokratische Republik Kongo) das Privateigentum des Königs. Dieser Status jenseits allen Völkerrechts war in der ganzen Kolonialgeschichte einzigartig.
Mit dem Land wurden zugleich auch alle seine Bewohner als Privatbesitz angesehen. Bei der Ausbeutung des Landes kam es zu grausamen Exzessen. Der Begriff "Kongogräuel" wurde in jener Zeit geprägt. Durch einzelne engagierte Missionare gelangte das Geschehen an die Öffentlichkeit. Das ganze Ausmaß der Gräuel wurde jedoch erst aufgedeckt, als ein Angestellter einer Reederei bekanntmachte, dass mit der Kolonie gar kein Handel betrieben wurde, sondern die Schiffe, die in die Kolonie fuhren, praktisch nur mit Waffen und Munition beladen waren. Nun entwickelte sich die erste internationale Menschenrechtsbewegung. Fotografien führten das Ausmaß der Unterdrückung nachhaltig vor Augen. Aufnahmen von Einheimischen mit abgehackten Händen oder Füßen machten die Runde.
1903 entsandte Großbritannien einen Diplomaten in den Kongo, um die Anschuldigungen gegen Leopold II. und sein Regime zu untersuchen. Sein Bericht bestätigte sämtliche Vorwürfe. Unter internationalem Druck trat der König schließlich 1908 den Kongo an den belgischen Staat ab. Schon Zeitgenossen schätzten, dass im Kongo-Freistaat die Hälfte der Einwohner durch Zwangsarbeit, Hunger, die Grausamkeit der Verwaltung sowie durch Krankheiten ums Leben kam. In den 20 Jahren zwischen der Kongokonferenz und 1905 war die Bevölkerung des Kongo bereits um etwa 10 Millionen Einwohner dezimiert worden. Einige setzten Leopolds Todesbilanz sogar mit 15 Millionen an.
Die Kolonie erhielt nun den Namen Belgisch-Kongo. Eine koloniale Charta diente als Verfassung, die Verwaltung wurde aus Belgien durch das Kolonialministerium geführt. Dem Belgisch-Kongo stand ein Generalgouverneur vor. Mehr produzieren und mehr exportieren waren die Erfordernisse, die dem Belgisch-Kongo aufgetragen waren. Um dies zu erreichen, wurde eine sehr paternalistische Kolonialpolitik betrieben, die auf einem System der staatlichen Verwaltung, privater Wirtschaftstätigkeit und kirchlichem Einfluss auf das Bildungswesen beruhte. Durch die staatliche Verwaltung verbesserte sich die Situation der einheimischen Bevölkerung nur geringfügig. Zum Beispiel wurde trotz des juristischen Verbots die Zwangsarbeit weiter geduldet.
Als Belgien den Kongo 1959 formal in die Unabhängigkeit entließ, setzte ein Kampf um die Verteilung der Pfründe ein. Das riesige Territorium war notorisch unterentwickelt. Es gab keine afrikanischen Offiziere, im gesamten Staatsdienst waren nur drei Afrikaner in leitenden Positionen und lediglich 30 Kongolesen besaßen eine akademische Ausbildung. Gleichzeitig waren die westlichen Investitionen in die Mineralressourcen des Kongo (Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Kobalt, Diamanten, Mangan, Zink) enorm, weshalb es nahe lag, das Land über seine formale Unabhängigkeit hinaus unter Kontrolle zu halten.
Aus den für Mai 1960 anberaumten Wahlen ging die von Patrice Lumumba geführte Mouvement National Congolais als stärkste Kraft hervor. Doch nur sieben Monate nachdem der Kongo seine Unabhängigkeit erklärt hatte, wurde Lumumba von politischen Gegnern ermordet. Inzwischen gilt als erwiesen, dass bei Lumumbas Ermordung sowohl die Regierung in Brüssel als auch die US-Regierung unter Präsident Eisenhower ihre Hände im Spiel hatten. Der Mord an Lumumba war symptomatisch für den politischen Prozess im gesamten Afrika südlich der Sahara. Die Eliten, die im Zuge der Entkolonialisierung an die Macht kamen, akzeptierten bereitwillig das ihnen von den Kolonialherren angebotene Erbe und übernahmen die staatlichen Institutionen und Grenzen, die die europäischen Mächte im Zuge ihrer Eroberung Afrikas geschaffen hatten. Trotz seines Rohstoffreichtums zählt der Staat, bedingt durch jahrzehntelange Ausbeutung, Korruption und Kriege heute zu den ärmsten Ländern der Welt.
Der Kongo steht exemplarisch für den antidemokratischen Charakter der nationalen Eliten. Der Diktator Joseph Desiré Mobutu wurde 1997 gestürzt, nachdem sein hochverschuldetes Regime mit dem Ende des Kalten Krieges seinen Nutzen für die USA verloren hatte. Sein Nachfolger Laurent Kabila wurde ermordet und durch seinen Sohn Joseph ersetzt, der sich westlichen Kapitalinteressen noch bereitwilliger anpasst. Im Verlauf des mehrjährigen Bürgerkriegs starben rund 4 Millionen Kongolesen, überwiegend Frauen und Kinder – zumeist an Hunger und Seuchen. Demokratische Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Fortschritt sind in der Folge weitgehend auf der Strecke geblieben. Über diese Tatsache vermögen auch vermeintlich "freie Wahlen" unter dem militärischen "Schutz" der Vereinten Nationen nicht hinwegzutäuschen.
Die Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes - eine von 1881 bis 1899 währende Rebellion gegen die anglo-ägyptische Herrschaft in den Sudan-Provinzen am mittleren Nil –benannt nach seinem politischen Führer, der sich zum Mahdi, einem Nachkommen des Propheten Mohammed, erklärt hatte - durch britische und ägyptische Streitkräfte und die Beilegung der Faschodakrise gelten als Ende des Wettlaufs um Afrika. Die Faschodakrise 1898 bezeichnet einen Konflikt zwischen britischen und französischen Kolonialtruppen. Großbritannien wollte, einen Nord-Süd-Gürtel von Kolonien, vom Kap der Guten Hoffnung bis Kairo, errichten. Frankreich wollte dagegen einen Ost-West-Gürtel, von Dakar bis Dschibuti. Die Ansprüche beider Staaten kollidierten in dem kleinen sudanesischen Ort Faschoda. London und Paris wollten keinen Krieg um ein abgelegenes Territorium führen und durch den formalen Anspruch Ägyptens auf den Sudan waren die Briten auch rechtlich in der besseren Lage. Der französische Außenminister Delcassé gab in den Verhandlungen nach und die Franzosen erhielten den Befehl zum Abzug. Im Sudanvertrag steckten beide Seiten kurz darauf ihre jeweiligen Interessengebiete ab.
Auch nach Ende des „Wettlaufs um Afrika“ gab es noch Territorialstreitigkeiten. Die Burenstaaten wurden zwischen 1899 und 1902 im Burenkrieg von Großbritannien erobert. 1911 teilten sich Frankreich und Spanien Marokko auf. Libyen wurde 1912 von Italien erobert. Die offizielle Annexion Ägyptens 1914 schloss die koloniale Aufteilung Afrikas ab. Bis auf Äthiopien stand jetzt ganz Afrika unter der Kolonialherrschaft europäischer Staaten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in vielen Kolonien zu Unabhängigkeitsbestrebungen. Frankreich und Großbritannien hatten noch stark mit den Folgen des Krieges zu kämpfen. 1945 und 1947 kam es zu Unruhen in den französischen Kolonien Algerien und Madagaskar, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Der Beginn des verlustreichen Algerienkrieges 1954 und der verlorene Krieg in Indochina läuteten eine Wende in der französischen Kolonialpolitik ein. Nach und nach entließ Frankreich seine afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit. Tunesien und Marokko machten 1956 den Anfang, 1960 folgten auf einen Schlag zahlreiche Kolonien in West- und Zentralafrika.
Großbritannien zog sich im Gegensatz zu Frankreich weitgehend kampflos aus seinen Kolonien zurück. Die Kolonien sollten nach und nach an gemäßigte demokratische Regierungen übergeben werden. 1957 erlangte Ghana als erstes zentralafrikanisches Land die Unabhängigkeit. Während das nach dem Krieg gebeutelte Italien bereits 1951 Libyen in die Unabhängigkeit entließ, erhielt der Kongo erst 1960 seine Souveränität von Belgien. Portugal hielt noch bis zum Ende der faschistischen Diktatur im Jahr 1974 an seinen Kolonien fest. Namibia wurde unter südafrikanische Verwaltung gestellt und erlangte erst 1990 seine Unabhängigkeit. Damit gibt es nur noch ein Kolonialgebiet in Afrika, die Westsahara, ein Territorium, das nach dem Abzug der ehemaligen Kolonialmacht Spanien von Marokko beansprucht und größtenteils annektiert wurde.
In der Periode des entwickelten Kolonialismus nach dem Zweiten Weltkrieg haben die kolonialen Grenzen erheblich an Bedeutung gewonnen. Der antikoloniale Unabhängigkeitskampf, der Kampf um Ressourcen, die Handhabung des Landrechts, die Investitionen in die Infrastruktur und die Ausbildung der politischen Systeme fanden innerhalb der kolonialen Grenzen statt.
Für die vielen Millionen Bewohner und Bewohnerinnen des in Berlin aufgeteilten Kontinents und ihre Nachfahren war das, was da ohne ihr Wissen entschieden wurde, von gravierender Bedeutung. Aber auch für Europa und vor allem für das weitere Verhältnis der beiden Kontinente zueinander spielten die Bestimmungen der Berliner Afrika-Konferenz eine Schlüsselrolle. Denn nicht nur wurde die afrikanische Bevölkerung in Berlin vollständig entrechtet. Zum ersten Mal wurde hier auch ein gesamteuropäischer „Entwicklungsauftrag“ gegenüber Afrika formuliert, der in dem Aufruf der versammelten Großmächte gipfelte, (Zitat)„die Eingeborenen zu unterrichten und ihnen die Vorteile der Zivilisation verständlich und wert zu machen“(Zitatende). Ein deutlicher Fingerzeig in Richtung Rassismus und Herrenmenschentum, unter dem Afrika noch bis heute zu leiden hat.
© Gudrun Eickelberg, 26. Februar 2015